Die Sehnsucht nach Freiheit
Schon lange ist der Impuls
in mir, über dieses Thema zu schreiben. Als mir heute Nachmittag das oben
eingestellte Foto in die Hände kam, war es wieder präsent, das Thema
„Freiheit“. Ich weiß noch, wie mich der Anblick dieser Skulptur berührte als
ich sie das erste Mal bei der Besichtigung des Kunstgeländes „Mariposa“ auf
Teneriffa sah. Damals fühlte ich mich genau so. So als hätte ich diese beiden
Schuhe an meinen Füßen. Beim Anblick dieses Kunstwerks wurde mir damals
bewusst, welcher Kampf in mir tobte.
Ein Teil in mir fühlte den
Schuh mit dem Flügel. Die Sehnsucht nach Freiheit, nach Losgehen und
Wegfliegen, nach Leichtigkeit und neuen Schritten, neuer Bewegung in ein neues
Leben.
Der andere Teil fühlte
sich gelähmt, scheinbar festgebunden, angekettet, als hätte er eine Eisenkugel am Bein, die ihn
festhielt. Unfähig weiterzugehen oder gar eigene Schritte der Loslösung, der
Veränderung zu gehen. Der Radius der Freiheit schien auf die Länge der Kette
begrenzt zu sein. Zumindest fühlte es sich so an.
Kein Bildnis konnte bis
dahin dieses Gefühl besser ausdrücken als diese beiden Schuhe.
Wenn ich das Bild heute
betrachte, spüre ich immer noch die Ergriffenheit und den tiefen Schmerz von
damals. Gleichzeitig kann ich heute das Gefühl von Leichtigkeit und Freude am
Leben deutlich spüren und damit verbinden, dass ich damals den Schritt gewagt
habe. Ich bin gegangen, habe mich von den Ketten befreit.
Nein, ich war nicht
wirklich angekettet, niemand außer mir selbst war für diese Ketten
verantwortlich.
Das weiß ich heute. Kein
Mensch ist durch einen anderen oder durch eine Situation wirklich angekettet.
Immer haben wir die Freiheit uns loszumachen. Allerdings ist dieses Losmachen
verbunden mit einer Konsequenz, der ich bereit sein muss, mich zu stellen. Es
sind die eigenen Ketten, die ich mir ans Bein gelegt hatte und die letztlich
nur ich selbst ablegen konnte. Denn außer mir hatte niemand den Schlüssel bzw.
die Verantwortung dafür. Das allerdings war etwas, das ich erst viel später erkannte.
Die Ketten bestanden aus
starken Gliedern, die da hießen: Harmoniebedürfnis, Sicherheit, Gehorsam,
Angepasstheit, Bild einer heilen Welt und heilen Familie, Erwartungshaltung der
Anderen, Angst vor einem anderen Leben, Angst, Grenzen zu sprengen, Angst vor
Zerstörung, Angst vor Verlust, Angst vor dem Fallen, Angst vor Veränderung,
Angst vor dem Loslassen, Angst vor Verletzung, Angst nicht bestehen zu können,
Angst, Angst, Angst… vielleicht ganz tief im Inneren sogar der Angst vor der
Freiheit.
Also saßen die Ketten
ziemlich fest an meinem Bein und letztlich gaben sie mir auch Halt. Ich wusste
genau, was ich zu tun hatte damit ich diese Macht noch nährte. Ich war sie
gewohnt und hatte mich daran gewöhnt. Dass ich dabei alles andere als mein
Leben lebte, schien lange Zeit wenig Rolle zu spielen, wäre nicht immer wieder
diese tiefe Sehnsucht in mir wach geworden.
Lange Zeit machte ich
Vieles andere verantwortlich dafür, warum ich nicht wirklich zufrieden und
glücklich in meinem Leben war. Ich ließ mich beherrschen von den Aussagen der
Anderen, von der scheinbaren Abhängigkeit unserer materiellen Welt, von der
Geprägtheit eines Gesellschaftsbildes, dass Man so zu leben hat und zufrieden
sein sollte. Ich hatte doch alles… und doch ging es mir nicht gut.
Der Flügel am anderen Teil,
am anderen Fuß, war wohl schon lange da. Zaghaft zeigte er sich immer wieder
mit einem vorsichtigen Versuch seinen Flügel auszubreiten. Allerdings
interessierte dieser Flügel kaum jemanden in meinem Leben, also war auch ich
diejenige die ihn immer wieder verdrängte. Schließlich war es wichtig für die
Anderen zu funktionieren und deren Bedürfnisse zu erfüllen. Das war das
Gewohnte, das was ein Gefühl von Sicherheit vermittelte, das was mich im Leben
trug. Und so wurde der Flügel, sobald er versuchte zu wachsen und sich
ausbreiten wollte, gestutzt und zurück geschnitten bis er wieder ins Bild
passte. Meist war ich es selbst, die diese Schnitte ausführte. Die Sehnsucht
nach Freiheit allerdings hatte zwischenzeitlich ihre eigene Kraft entwickelt. Nachdem
ich sie einmal in mir wahrgenommen hatte, verschwand sie nie mehr. Nein, sie
wuchs, wuchs heran, bis der Flügel eines Tages so stark war und ich den Mut
fasste, den Schritt in ein anderes Leben zu wagen.
Seitdem weiß ich wie
wichtig es für die Verwirklichung des eigenen Wesens ist, die Kraft aufzubringen,
den Mut zu finden und diesem Ruf zu folgen. Wenn die Seele schreit und nach
Veränderung ruft ist es Zeit, die Flügel auszubreiten und zu fliegen bzw. den anstehenden
Schritt zu gehen. Gleichzeitig möchte ich dabei nicht verschweigen, wieviel
Schmerz es bereiten kann, wieviel Tränen fließen und wieviel Unsicherheit
hervor gerufen wird, bis die Flügel ihre Kraft finden, in Freiheit zu fliegen
und wieder Fuß zu fassen in einem anderen Leben.
Im Laufe der Jahre durfte
ich immer wieder Menschen auf ihrem Weg begleiten. Menschen, die einer
Sehnsucht in sich folgten und den Mut aufbrachten, diesen Weg zu gehen. Für das
Geschenk, diese Prozesse begleiten zu dürfen, empfinde ich tiefe Dankbarkeit
und Demut in meinem Herzen.
Einer der Gründe, warum
wir uns scheuen diesen Schritt zu gehen liegt darin, dass wir uns auf
vergangene Erfahrungen berufen. Dass wir in unsere Lebenskiste greifen und scheinbare
Fehlschläge heranziehen die uns abhalten, weil sie uns einen scheinbar schwierigen
bzw. steinigen Weg vorzeichnen. Dabei vergessen wir, dass Leben eine Bewegung
nach vorn ist. Jeder neue Tag ist für uns da, um ihn zu nutzen. Er steht zur
Verfügung neue Erfahrungen zu sammeln, aus den Fehlschlägen der Vergangenheit
zu lernen und Veränderungen ins Leben zu bringen, um weiter zu kommen, um zu
wachsen und einen mutigen Schritt unseres Lebenswegs zu gehen. Wenn wir das
Gefühl haben, die Welt schränke uns ein, dann sind wir es selbst, die uns die
Ketten anlegen. Es ist die Angst vor der Veränderung im Leben, die uns abhält
den Mut zu finden und neue Schritte ins Leben zu gehen. Dabei kennt jede
Sehnsucht, die unsere Seele hervorbringt ihr Ziel, auch wenn dieses Ziel
momentan noch nicht mit dem Verstand zu greifen ist. Wir sollten Vertrauen
finden in die Sprache unserer Seele und dieser Sehnsucht Raum schenken, um uns
aufzumachen….
… in ein Leben in Freiheit!
Das Foto der Skulptur mit den beiden Schuhen hat mich zutiefst berührt und beschäftigt mich seitdem ich es gesehen habe.
AntwortenLöschenFür mich trägt es die tiefe Symbolik des Menschseins in sich, auf der einen Seite der Schuh mit der Kette und der Kugel und auf der anderen Seite mit dem Flügel. Ich denke beiden Seiten gehören untrennbar mit meinem Leben als Mensch zusammen. Wer kennt nicht die Zeiten in denen er das Gefühl hatte eine tonnenschwere Kugel hinter sich herzuziehen, auf der anderen Seite aber auch die Zeiten in denen das Vorwärtsgehen federleicht und unbeschwert erschien. Auch wenn ich mir manchmal wünschte diese Kugel endgültig loswerden zu können, weiß ich auch um ihren Sinn. Sie hält mich am Boden, sie erdet mich und verbindet mich mit dieser Welt und diesem meinem Leben.
Ich muss trotzdem nicht hilflos eine Last hinter mehr herschleppen, die mich all meine Kraft kostet. Mir wurde die Freiheit gegeben, das Gewicht dieser Kugel auf das zu reduzieren was notwendiger Weise zu ihr gehört. Ich kann all die Werte und Ansichten, die nicht zu mir gehören, zurücklassen und es somit meinem Flügel leichter machen. Und ihn sogar dadurch kräftigen, da er endlich von mir benutzt wird und nicht nur verkümmern muss, weil er ohnehin nicht fähig ist das Gewicht zu bewegen, das ich mit mir herumtrage.
In mir entstand noch ein anderes Bild im Zusammenhang mit diesem Foto. Ein Bild auf dem die Spuren, die ich durch mein Leben hinterlasse, sichtbar sind. Abschnitte auf denen schleppende, kurze, müde und tief versunkene Spuren im Sand sichtbar sind und Abschnitte mit weit auseinander liegenden, leichten und nur wenig Schwere aufweisenden Spuren. Jeder dieser Abdrücke steht für den Sinn und den Wert meines Lebens, sie zeigen auf wie ich mit jeder Aufgabe und jeder Herausforderung, die mir in diesem Leben begegnet ist, umgegangen bin. Und welchen Wert und Sinn, den nur ich jedem Augenblick meines Lebens schenken konnte und kann, gegeben habe oder noch geben werde.
Ulrike Shanti